Bewegung ist Ausdruck von Lebensfreude, von Stärke und manchmal auch vom loslassen

In Lehrbüchern wird Bewegung oft so beschrieben:
„Jede Aktivität des Körpers, die zu einem erhöhten Energieverbrauch führt.“
Oder: „Eine Ortsveränderung eines Objekts über die Zeit.“
Das ist sachlich richtig – aber für mich nicht vollständig.
Denn das sagt nichts darüber, wie sich Bewegung anfühlt.
Oder was sie über den Körper zeigt.

Bewegung ist für mich mehr als Muskelarbeit.
Mehr als eine definierte Leistung oder eine verbrauchte Kalorienzahl.
Ich beobachte Bewegung nicht nur als Aktivität – sondern als Ausdruck.
Sie zeigt, wie ein Körper Spannung aufbaut, wie er Halt organisiert, wie er loslässt.
Und genau darin liegt für mich ihr Wert.

1. Bewegung folgt keinem festen Plan

Bewegung entsteht immer im Moment.
Sie lässt sich nicht exakt vorplanen, weil der Körper ständig auf unterschiedliche Anforderungen reagieren muss.
Gelenkstellung, Muskelspannung, Haltearbeit, Ausrichtung – all das verändert sich permanent.
Ein Bewegungsablauf sieht auf dem Papier vielleicht gleich aus, ist es aber im Körper nie.
Deshalb interessiert mich nicht, ob jemand einen Plan erfüllt.
Mich interessiert, wie der Körper eine Bewegung organisiert.

2. Bewegung ist Ausdruck von Lebensfreude

Wenn Menschen sich mit echter Lebensfreude bewegen, sieht man das.
Und zwar nicht nur im Gesicht oder in der Stimme, sondern im gesamten Körper.

Der Körper wird nicht gehalten – er bewegt sich, weil etwas in Bewegung ist.

In meiner Arbeit beobachte ich das immer wieder:
Lebensfreude zeigt sich körperlich nicht durch Perfektion, nicht durch große Bewegungsumfänge oder besondere Geschmeidigkeit – sondern durch die Art, wie sich jemand in seinem Körper aufhält.
Ob Bewegung leicht entsteht, ohne vorher nachzudenken.
Ob der Atem dabei frei bleibt.
Ob der Körper Raum einnimmt, ohne sich zu behaupten.

Ich meine damit keine Euphorie.
Lebensfreude ist nicht laut, nicht überschwänglich.
Sie kann ganz ruhig sein – aber sie ist immer da, wenn jemand mit sich im Kontakt ist.
Und genau das wird über Bewegung sichtbar:
Der Umgang mit sich selbst, der innere Zustand, die Lust, sich zu bewegen, weil man es kann – nicht weil man muss.

Diese Qualität lässt sich nicht planen.
Sie ist nicht trainierbar im klassischen Sinne.
Aber sie ist beobachtbar. Und wenn sie fehlt, fällt das auf.
Dann ist Bewegung vielleicht technisch korrekt – aber sie wirkt nicht lebendig.
Und das macht für mich einen Unterschied.

3.Bewegung ist Ausdruck von Stärke

Stärke zeigt sich im Körper nicht allein durch Muskelmasse. Sie zeigt sich in dem, wie jemand Belastung trägt.
Wie jemand steht. Wie sich jemand bewegt, wenn Druck da ist, körperlich oder innerlich. Wenn ich einen Menschen beobachte, der sich stark fühlt, dann sehe ich keine Überkompensation.
Ich sehe einen Körper, der Halt hat – und diesen Halt nicht erzwingen muss.

Ein starker Moment ist für mich sichtbar.

Zum Beispiel an einer klaren Aufrichtung, an der Art, wie das Gewicht über den Füßen verteilt wird, an der Fähigkeit, Übergänge zu kontrollieren, ohne zu verspannen.
Diese Stärke ist keine Pose – sie entsteht nicht durch das, was jemand zeigen will, sondern durch das, was der Körper zur Verfügung hat.
Sie zeigt sich auch dann, wenn sich jemand in sich selbst sicher fühlt – auch unter Belastung.

Und genauso ist auch das Gegenteil sichtbar:
Wenn jemand einknickt, wenn das System Schutzspannung aufbaut, wenn die Bewegungen klein werden, weil der Körper keinen inneren Zugriff auf Stabilität hat.
Das hat nichts mit Willenskraft zu tun.
Sondern mit der Frage: Ist da wirklich innere Stärke – oder muss der Körper kompensieren?

Diese Unterscheidung ist für mich in der Praxis entscheidend.
Ich schaue nicht nur, was ein Körper kann – sondern, wie er es trägt.
Und daran erkenne ich Stärke.

 

4.Bewegung ist Ausdruck von Loslassen

Loslassen ist kein messbarer Prozess.
Es ist nicht willentlich steuerbar und auch nicht kontrollierbar.
Aber es zeigt sich deutlich im Körper. 

Wenn jemand emotional etwas loslässt, verändert sich sofort die Körperspannung.
Der Brustkorb hebt sich anders, die Atmung geht tiefer.
Ein Schutzmuster fällt weg – manchmal sichtbar an den Schultern, am Becken, an der Art, wie jemand sitzt oder steht.
Nicht, weil es geübt wurde, sondern weil es nicht mehr gebraucht wird.

Ich meine damit kein „Loslassen“ im Sinne von Lockerlassen.
Sondern ein echtes inneres Nachgeben – oft nach einem intensiven Prozess.
Der Körper reagiert nicht mehr mit Spannung, weil keine Abwehr mehr da ist. Und genau das zeigt sich:
Die Bewegungen werden weiter, freier, nicht weil sie gezielt verändert wurden, sondern weil sich etwas verändert hat.

Loslassen ist für mich sichtbar, wenn der Körper nicht mehr festhält.
Nicht an einem Problem, nicht an einer Haltung, nicht an einem inneren Widerstand.
Das ist keine Technik. Das ist ein Ausdruck.
Und wenn ich das sehe, weiß ich: Da hat sich etwas gelöst – nicht nur muskulär, sondern im ganzen System.

Bewegung ist überall. Sie wird beschrieben, vermessen, geplant.
Aber was oft fehlt: die Frage, was Bewegung eigentlich zeigt.
Für mich ist klar – Bewegung ist kein Plan.
Sie ist Ausdruck.

Ein Ausdruck von dem, was im Körper gerade passiert:
Von Lebensfreude, von Stärke – und manchmal auch vom Loslassen.
Und genau deshalb beobachte ich Bewegung nicht, um sie zu korrigieren.
Sondern um sie zu verstehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert